20. Januar 2012 · 23:41
Gespenstige Entgleisungen der modernen Katzenzucht
In dem Standardwerk eines englischen »Experten« über Zuchtkatzen wird beispielsweise die 1960 im Südwesten Englands entstandene Devon Rex mit dem »Aussehen eines elfenhaften Clowns« verglichen, wie immer man sich einen solchen vorzustellen hat. Das Problem dieser Katze mit ihrem gekräuselten Fell besteht unter anderem darin, daß ihre ebenfalls gekräuselten Schnurrhaare leicht abbrechen. Wer über die Bedeutung der Vibrissen für die Orientierungsfähigkeit der Katze informiert ist, der kann ermessen, was diesen Tieren damit angetan wird.
Zur gleichen Zeit entdeckte in Amerika die Cymric das Licht der Welt. Hierbei handelt es sich um eine langhaarige Variante der eigentlich kurzhaarigen und vor allem schwanzlosen Manx-Katze. Die Schwanzlosigkeit von Katzen, eine böse Laune der Natur, kann sich in großen Populationen gewöhnlich nicht durchsetzen. Doch in isolierten Gruppen, beispielsweise auf einer Insel, kann sich dieses Merkmal mangels »Blutauffrischung« und unter besonderen Bedingungen zum regionalen Standard entwickeln. Das ist auf der Isle of Man vermutlich schon vor dem 18. Jahrhundert geschehen. Diesen benachteiligten Geschöpfen fehlt ein wichtiges Instrument ihrer Balance und Kommunikation. Hermann Masius stellte in seinen Naturstudien 1852 dazu fest: »Der lange, schmeidige Schwanz ist kein müßiger Schnörkel. Er ist voll feinster Empfindung, gleichsam der Seele anderer Pol und eben deshalb ein so bedeutsam pantomimisches Glied.« Warum man die schwanzlose Manx seit über 100 Jahren systematisch züchtet, bleibt deshalb ein Rätsel – zumal sie extrem krankheitsanfällig ist. Ihre moderne, langhaarige Variante gefällt den Züchtern und ihren Verbänden vor allem dann, wenn ihre Beine »vorne viel kürzer als hinten« sind, weshalb ihr Gang eher einem Hoppeln oder Hüpfen gleicht denn dem Schreiten oder Schleichen der gewöhnlichen Hauskatze. Man möchte dieser Katze nicht bei der Jagd zuschauen.
Scottish Fold. Abbildung aus: Bruce Fogle, »Katzen – Die neue Enzyklopädie«, München 2002
1961 entstand in Schottland die Scottish Fold, eine Rasse, deren Eigentümlichkeit in nach vorne gefalteten Ohren, also eng am Kopf anliegenden Ohrmuscheln liegt, so als würde sie eine Badekappe aufhaben. Es ist eine Katze mit betont rundem Kopf und großen Augen, deren Aussehen eine immerwährende Kindlichkeit vorgaukelt. Während die ersten Exemplare dieser Rasse eine einfache Faltung an den Ohren aufwiesen, sind bei den heutigen Vertretern die Ohren schon dreifach eng gefaltet. Das Gehör ist eines der wichtigsten Sinne der Katze. Wie diese Deformation das Leben und Erleben sowie den Radius der Katze einschränkt, läßt sich leicht ermessen.
Sphynx, Privatfoto. Quelle: Google Bilder
In der Natur kommen sie so gut wie nie vor, und falls doch, sind sie kaum überlebensfähig: haarlose Katzen. 1978 haben Züchter in Nordamerika und Europa aus den haarlosen Nachkommen eines kanadischen Muttertieres die Sphynx gezüchtet. Genauer muß man sagen, daß diese Rasse fast haarlos ist, denn sie besitzt einen sehr dünnen Flaum. Da dessen Haarfollikel nach wie vor Talg produzieren, müssen viele Sphynx-Katzen, da sie über kein Haarkleid verfügen, das den Talg absorbieren könnte, täglich mit Fensterleder abgerieben werden. Ganz abgesehen davon ist diese »Rasse« extrem hitze- und kälteempfindlich und muss zumeist das Haus hüten – sie kann sogar einen Sonnenbrand bekommen!
Munchkin. Abbildung aus: Bruce Fogle, »Katzen – Die neue Enzyklopädie«, München 2002
Ende der 1980er bzw. Anfang der 90er Jahre entstand die Munchkin als »edle« Lang- und Kurzhaarkatze. Beide Variationen sind insofern verzwergte Katzen, als ihre Beine wesentlich verkürzt sind. Der von den Zuchtverbänden vorgeschriebene Rassestandard für die Munchkin sieht drei Größen vor: »Standard«, »Superkurz« oder »Teppichkehrer« (im Ernst!).
Känguru-Katze, Privatfoto. Quelle: Google Bilder.
Vor ein paar Jahren sorgte die sogenannte Känguruh-Katze aus Amerika für Schlagzeilen. Sie zeichnet sich durch gezüchtete, verkümmerte Vorderpfoten aus und muß sich beim Sitzen zusätzlich mit dem Schwanz abstützen, um nicht umzufallen. Wenn sich diese Katzen fortbewegen, hüpfen sie wie ein Känguruh. Die texanische Züchterin dieser armen Monstrosität, Vicky Ives Speir, warb auf ihrer (inzwischen abgeschalteten) Homepage mit dem Argument der extremen Seltenheit für ihre »mutant kitties«.
Inzestuöse Aspekte der Rassekatzenzucht
Aufschlußreich ist die Tatsache, daß man von fast allen diesen Rassen genaue Kenntnis über die ersten Mutanten, ihre Mütter und die menschlichen Besitzer hat. Auch über die weiteren Zuchtlinien ist man relativ genau informiert, was nicht wundert, denn »nur durch Inzucht konnte die Devon Rex erhalten werden«, wie der schon erwähnte, englische »Experte« feststellen mußte. Es sind ja alle modernen Rassekatzen irgendwann durch ein Stadium extremer Inzucht gegangen. Bei seltenen Rassen sind alle lebenden Tiere noch eng miteinander verwandt. Dies führt, so der berühmte Verhaltensforscher Paul Leyhausen, »immer wieder zu Nachkommen, die man nur als debil bezeichnen kann«. Die Züchter scheint es nicht weiter zu stören.
Nun wird spätestens an dieser Stelle mancher einwenden, daß es überall schwarze Schafe gibt, und das gelte wohl auch für Katzenzüchter. Ich akzeptiere diesen Einwand gern, wenn gleichzeitig eingeräumt wird, daß die Herde der Katzenzüchter von einer großen Anzahl schwarzer Schafe durchdrungen ist.